Selbstführung kommt vor Fremdführung
Ein Satz, der zu schnell über die Lippen kam, eine heftige Körperreaktion oder auch ein Lösungsvorschlag, obwohl keiner danach gefragt hat: Kennen Sie solche Situationen?
Selbstführung kommt vor Fremdführung, lernen wir, wenn wir uns mit Menschenführung beschäftigen. Wie ist das, wenn Sie in Führung gehen: Haben Sie das Ruder des Handelns überwiegend selbst in der Hand? Wie sieht das konkret aus, wenn Sie sich selbst führen?
Selbstführung setzt für mich bewusste Selbstwahrnehmung voraus. Sie führt zur Selbsterkenntnis: Wer bin ich? Welche Stärken, Talente und Kompetenzen zeichnen mich aus? Was geht mir mit Leichtigkeit von der Hand? Bei welcher Tätigkeit blühe ich auf? Was hält mich in meiner Energie? Das alles sind Eigenschaften, die durch Selbstreflexion und Tests erkannt oder auch durch Dritte rückgemeldet werden können. Genau hier ist der größte Hebel für die Selbstführung: Zu wissen, was einen ausmacht und sein Tun darauf auszurichten. „Baue aus, was stark ist.“ – so ein Leitsatz der Positiven Psychologie, der Wissenschaft vom gelingenden Leben. Mehr von dem, was in uns veranlagt ist, macht den Weg frei für wiederkehrendes Flow-Erleben und beflügelt uns, Herausforderungen leichtfüßig lernend zu meistern. Unsere Stärken ausbauen, diese vernetzen und in anderen Kontexten anzuwenden, führt vielmals aus der Komfortzone des Bekannten auf neues Terrain mit Lernfeldern, Chancen und Möglichkeiten. Daraus speisen sich Selbstwirksamkeit und Lebensfreude.
Etwas mehr verborgen sind die Wurzeln unseres Denkens, unsere Werte, basierend auf unserem Wissen, Überzeugungen und Einstellungen. Auch da sollten wir ran und entdecken, was uns im Leben wichtig ist und wofür wir einstehen. Helfen kann uns hierbei, zu erkennen, welche Redewendungen wir nutzen, bei welchen Themen wir anspringen oder auch, wann wir etwas zusätzlich machen, ohne Gegenleistung und große Bühne. Ebenso kann der Blick von dritten Personen wichtige Hinweise zu unserem Verhalten geben und dadurch zu den gelebten Werten führen.
Zu guter Letzt ist die Verbindung zu sich selbst ein wichtiger Baustein zur Selbstführung. Das heißt, seine Gefühle und Bedürfnissen situativ bewusst wahrzunehmen, sie beim Namen zu nennen und zu lernen, diese zu regulieren. Das Training des eigenen Reflexionsvermögens hilft, dass diese Prozesse mehr und mehr „automatisiert“ ablaufen und uns zum Steuermann unseres Handelns machen.
Wenn das Obenstehende bewusst ist, dann habe ich es zunehmend in Hand, meine Entscheidungen diesem Wissen anzupassen und damit auf meine Reaktionen aktiv Einfluss zu nehmen. Ich bestimme selbst, was ich wie und warum mache. Es befähigt mich, immer stärker aus der Eigenverantwortung heraus zu agieren, für mich selbst zu sorgen und dabei Dritte wohlwollend im Blick zu behalten.
Über die Selbsterkenntnis entsteht situative Selbstbewusstheit, die der Schlüssel für persönliche Klarheit und in sich ruhender Überlegtheit ist. Man ist mit sich selbst im Reinen und nach außen sichtbar der „Fels in der Brandung“. Selbstführung in diesem Sinne öffnet den Raum, um für die anvertrauten Menschen da zu sein: Mit ehrlichem Interesse und persönlicher Zugewandtheit zuzuhören und nachzufragen – emotionale Wellen brechend, Stabilität vermittelnd und Sicherheit gebend.
1. August 2022